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Die nasse Hölle

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Ein Unwetter und seine Folgen

Vor genau 75 Jahren braute sich vor Portugals Küste ein Schlechtwettergebiet zusammen, das vor allem in der Algarve schwerste Regen- und Sturmschäden hinterließ. Die Naturgewalt und ihre Auswirkungen prägten die weitere Entwicklung der Region bis heute

Joaquim Silva hatte beschlossen, den Strand zu verlassen, wo er sich auch im Winter gerne aufhielt. Es war ein nasskalter Regentag, die See war aufgewühlt und so zog der Junge aus Lagos es vor, ins nahe gelegene Haus zurückzukehren. Kaum dort angekommen, schrie sein Vater, er solle so schnell wie möglich weglaufen. Minuten später hatte das Meer den Strand überflutet und das Haus der Familie weggerissen. Die kolossale Kraft der bis heute folgenreichsten Wetterkatastrophe in Portugal ließ am 15. Februar des Jahres 1941 nicht nur die Familie Silva in den Ruinen ihrer Existenz zurück. Es traf die gesamte Algarve-Küste (s. Zeitzeugnisse).
Das Geschehene lässt auch den 85-jährigen José Rosa aus Portimão nicht los. Vater und Onkel arbeiteten auf der Werft am Aradeufer und der Junge beaufsichtigte im Schuppen nebenan das köchelnde Mittagessen, als er das anschwellende Grollen des Meeres vernahm und der Lagerraum sich plötzlich in eine nasse Hölle verwandelte: Wasser strudelte herein und riss alles mit. José rettete sich, weil er eine im Boden verankerte Eisenstange zu fassen bekam. Als er später aus den Trümmern kletterte, bot sich ein Bild der Verwüstung: Der über die Ufer getretene Fluss hatte Mauern eingerissen, Häuser überschwemmt, Fischerboote zerstört, Telegrafenmasten umgeknickt. „Und der Arade spülte immer mehr Trümmer an“, erinnert sich José Rosa.
Das Unwetter jenes Samstags vor 75 Jahren veränderte Leben und Landschaft der Region nachhaltig und hatte Auswirkungen auf die Entwicklung bis heute. Historiker betonen, die Naturkatastrophe habe entscheidend zum Niedergang der Algarve als Industrie- und Handelsregion beigetragen. Für die Landwirtschaft war der Sturm ruinös, denn er vernichtete Saatfelder und Plantagen weiträumig. Es blieb nicht viel, das in andere Landesteile verkauft werden konnte, außerdem diente der Obst- und Gemüseanbau der Versorgung der Algarve-Bevölkerung selbst; nun blieben die Ärmsten der Armen ohne Einkommen und Lebensmittel zurück.
Regierungsbeamte in Lissabon bilanzierten vor allem die Steuerausfälle aufgrund der ruinierten Fischerei. Nach Zahlen von 1939 kamen damals knapp vierzig Prozent aller südlich von Lissabon erzielten Fangerträge in Portimão an Land. Lagos, Faro, Olhão und Vila Real de Santo António ergänzten dies. Nun hatten Regen und Sturm die Häfen und zahllose Fischerboote zerstört und die Ausrüstung in den ufernahen Lagerräumen stark beschädigt. Zwar dekretierte die Regierung in Lissabon den „serienmäßigen Bootsbau“; die Boote wurden den Fischern gegen langfristige Ratenzahlung übergeben, doch alle Sturmschäden zu beheben, sollte Jahre dauern. Die Wucht der Elemente hatte zudem den Meeresboden derart aufgewühlt, dass die Fahrrinnen der Hafeneinfahrten sich zum Teil verschoben hatten, was die Sicherheit der Schifffahrt beeinträchtigte. Glimpflich davongekommene Häfen entlang der Westküste füllten die logistische Lücke und eroberten schließlich dauerhaft die Position als Umschlagplatz. Von diesen Verlusten erholte sich die Algarve nicht mehr.
Die Regierung erhob eine Solidaritätssteuer, gründete die Junta de Construções zum landesweiten Wiederaufbau der Infrastruktur und verordnete einen „Preisstopp für Zement und andere Baustoffe.“ Symbolfigur des Neubeginns wurde ein Ingenieur aus Loulé: Duarte Pacheco, der Bauminister. Zu seinen weitreichenden Neuerungen im Städtebau gehörten auch erste Maßnahmen zum Küstenschutz, die bis heute Grundlage aller Planungen sind.
Es sei „sehr wichtig, zurückzublicken“, sagt João Alveirinho Dias, Geologe an der Universidade do Algarve. Volkstümliche Wertungen vom Typ „so ein Unwetter hat es noch nie gegeben“ hält er für schädlich. Man solle „den Geschichten der Alten zuhören, denn ‘wo das Wasser einmal war, da kommt es auch wieder hin’“, zitiert Dias einen häufigen Satz von den Azoren, der sich als nachprüfbar erwiesen habe. Dias und die Kulturwissenschaftlerin Joana de Freitas erforschen, welche praktischen Lehren aus früheren Naturkatastrophen im Alltag übrig geblieben sind: „Viele Küstenbewohner von heute sind Zugezogene und kennen die Vergangenheit ihres Wohnortes nicht.“ In Sesim-bra, einem beliebten Ferienort nahe Setúbal, gedenkt die Bevölkerung regelmäßig der Ereignisse von 1941 und hält das Bewusstsein für täglich mögliche Unwetter wach. An anderen Orten sei die Erinnerung verblasst. „An ihre Stelle ist Technikgläubigkeit getreten, etwa die vermeintliche Gewissheit, Buhnen und Wellenbrecher schützten die Uferzone.“ Das stimme aber nur, wenn „gleichzeitig der Raubbau an der Küste unterbleibt.“
Als Beispiel nennen die Forscher die Ilha de Faro, die „heute die verletztlichste Zone der Ria Formosa ist und selbst bei normalen Schlechtwetter-Ereignissen immer ein bisschen mehr Schaden nimmt als naturbelassene Küstenstreifen.“ Alveirinho Dias erklärt auch die Hochwasservorfälle in Albufeira Ende 2015 mit „exzessiver Bebauung in relativer Ufernähe, die dem Wasser keine Möglichkeit zum Abfließen oder Versickern lässt.“ Und dort, wo Molen einen Hafen vor Verlandung schützen sollen, fehlen „die Sedimente an den benachbarten Stränden, was neben der Verwundbarkeit der Küste auch die Gefahr für Badegäste erhöht“, erläutert Dias. Seine Erkenntnisse fanden Eingang in eine soeben abgeschlossene Studie zur EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (HWRM-RL), die von nun an alle sechs Jahre aktualisiert wird und Maßnahmen gegen hochwasserbedingte Folgen für Gesundheit, Umwelt, Kulturerbe und wirtschaftliche Tätigkeit enthält, denn „ein Sturm wie der vom 15.2.1941 würde heute unermesslich höhere Schäden anrichten.“
Übrigens fand 1941, zehn Tage nach dem Inferno, der Karneval trotzdem statt. In Loulé konnten die Vereine einen Teil ihrer beschädigten Vorbereitungen reparieren. Alle Einnahmen karnevalistischer Veranstaltungen wurden den Krankenstationen der Algarve gespendet.

Zeitzeugnisse
Das Unwetter vom 15.2.1941 richtete in der Algarve nach heutiger Rechnung Schäden im Umfang von Euro 12 Mio. an und forderte Menschenleben. Die Lokalzeitung ‘Comércio de Portimão’ bilanzierte damals: „Der Regen-sturm erreichte Geschwindigkeiten bis zu 150 km/h, verwüstete den Hafen, den Vorort Praia da Rocha und angrenzende Gebiete. Die Wellen schleuderten Schiffe an die Kaimauer, wo sie zerbarsten, andere rissen aus ihrer Vertäuung und kenterten. Der Fluss trat gewaltig über die Ufer und überspülte die Unterstadt.“ Regen und Wind pflügten die Felder von Mexilhoeira Grande und vernichteten die Saat. Die Stadt Lagos meldete „Zerstörung in allen Gemeinden“ und sammelte Geld, um „die Schulen wiederaufzubauen, die Eisenbahnlinie zu reparieren, Häuser in Odeáxere, Luz und Sargaçal in Stand zu setzen sowie das Hospital da Misericórdia, den Fischmarkt, den Gemüsemarkt und den Rathausplatz.“
In Armação de Pêra „riss das Meer die Uferpromenade weg und verschob enorme Steine. Vierzig Schiffe zerbarsten.“ Ähnlich sah es in Carvoeiro aus, wo „die Chalets der Sommerfrischler aufs Heftigste beschädigt sind und Fischerboote mitten im Ort stehen.“ Letzteres wurde auch aus Olhão berichtet. Gigantische Wellen tobten in der Ria Formosa, sodass die portugiesische Marine die Bewohner der Praia de Faro evakuierte. Die Siedlung auf der Insel Ancão verschwand von der Landkarte. In Vila Real de Santo António wuchs die Gefahr, nachdem die Tankstelle des Ortes zerstört war. An der Ilha de Tavira „verbanden sich Fluss und Meer und zogen Aufbauten ins Wasser.“
Im gesamten Hinterland wurden Zitrus-, Mandel-, Johannisbrot-, Oliven-, Kork- und Gemüseplantagen vernichtet. In Caldas de Monchique gab es schwere Verwüstungen; entwurzelte Bäume durchschlugen die Dächer der Gasthöfe. In Silves „ist die Korkfabrik Coutinho & C.ª komplett zerstört und fünf weitere stark beschädigt“, schrieb die Zeitung. Über 300 Eukalyptusbäume wurden entwurzelt. Auf den Friedhöfen in Salir und in Faro unterspülte der Regen die Gräber; umstürzende Zypressen zerschlugen die Grabmale. In Algoz und in Alte „regnete es salziges Meerwasser.“ Ein Ereignis erstaunte und erschreckte: Am Cabo de São Vicente drang Wasser in den Maschinenraum des Leuchtturms – Regen, aber auch Meerwasser von bis zu 50 Meter hoch gepeitschten Wellen.

Text: Henrietta Bilawer; Foto: ZAP
In ESA 02/16


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